20 Jahre SUPRATHEL®: Wie aus V16 eine Revolution in der Verbrennungsmedizin wurde
Herr Prof. Planck, Herr Dr. Hierlemann, heute vor rund 20 Jahren erfolgte die Zulassung von SUPRATHEL®. Das Produkt wurde offiziell vorgestellt bei der DAV in Rottach-Egern im Januar 2004. Waren Sie nervös, damals, beim offiziellen Verkaufsstart?
Dr. Helmut Hierlemann: Ja, natürlich schwang da eine gewisse Aufregung mit. Dank unserer klinischen Studien wussten wir aber bereits, dass das Produkt sehr wirkungsvoll ist. Bereits 1998 hatten Ärzte am Stuttgarter Marienhospital nachweisen können, dass dieses neue Produkt SUPRATHEL® bessere Ergebnisse erzielt als die bisher übliche Methode mit regelmäßigen Verbandswechseln und Fettgaze. Der Pflegedienstleiter des Marienhospitals hat in Rottach-Egern einen Vortrag über die Auswirkung von SUPRATHEL® auf die Pflege gehalten.
Prof. Heinrich Planck: Der Unterschied zur herkömmlichen Verbrennungsbehandlung war so eklatant, dass die Ärzte uns schon während der Vergleichsstudie mitteilten, dass sie es eigentlich gar nicht mehr verantworten könnten, Patienten SUPRATHEL® vorzuenthalten und stattdessen herkömmlich zu behandeln.
Gruppenbild 2007 nach einer intensiven DAV in St. Anton (von links nach rechts): Dr. Erhart Müller, Christine Planck, Prof. Dr. Heinrich Planck, Dr. Helmut Hierlemann.
Nun sind wir schon bei der Vorgeschichte zur Zulassung gelandet. Lassen Sie uns noch früher ansetzen: Wie kam es überhaupt zu SUPRATHEL®? Woher kam die Idee?
Prof. Heinrich Planck: 1974 habe ich mich in meiner Diplomarbeit – ich habe Maschinenbau studiert – mit strömungstechnisch optimierten Gefäßprothesen beschäftigt. Heute würde man sagen “bionisch optimiert”. Die Idee war, die Prothesen so nachzubilden, wie die Natur sie vorgibt. Das habe ich nachgebildet mit einer Flachstrickmaschine, die ich zur feinsten Flachstrickmaschine der Weltumgebaut habe. Diese strömungstechnisch optimierten Gefäßprothesen waren der Ausgangspunkt für Medizintechnik am Institut in Denkendorf.
Die Idee einer Kunsthaut kam etwas später, in den achtziger Jahren: Mit der Uniklinik Tübingen waren wir im Austausch wegen einer resorbierbaren Membran zur Behandlung von Parodontose. Der verantwortliche Ordinarius sagte damals zu mir: ‘Vergessen Sie’s, junger Mann, die Haut ist viel zu komplex’.
Okay, Vorboten gab es verschiedene. Wo würden Sie den Startschuss für SUPRATHEL® ansetzen?
Prof. Heinrich Planck: Den Grundstein für SUPRATHEL® haben wir 1996 mit der Beantragung des Deutschen Zentrums Biomaterial und Organersatz Stuttgart-Tübingen, kurz BMOZ, gelegt. Innerhalb dieses interdisziplinären Zentrums mit Partnern aus der Medizin und der Industrie haben wir mehrere Projekte verfolgt.
Dr. Helmut Hierlemann: Wir haben an Hernien gearbeitet, an Stents und einer Nervenleitschiene. Und eben an resorbierbaren Membranen, der Basis für SUPRATHEL®. Unser Team bestand aus Dr. Erhart Müller, Chemiker wie ich selbst, dem Biologen Prof. Dr. Michael Doser, Dr. Martin Dauner, Leiter der Organisation und Maschinenbau-Ingenieur Prof. Heinrich Planck, der Leiter des Projekts. Wichtig waren schon damals unsere Mediziner im Boot, Dr. Matthias Rapp und Dr. Christian Uhlig.
Prof. Heinrich Planck: Einen wichtigen Push gegeben hat uns eine Förderung des Bundes und der Industrie in Höhe von mehr als vier Millionen D-Mark.
Dr. Matthias Rapp und Dr. Christian Uhlig vom Stuttgarter Marienhospital begleiteten die Entwicklung von SUPRATHEL® eng. Ende 1998 gaben die Entwickler ihre V16 frei; sie wurde im Marienhospital getestet.
Bild: Marienhospital Stuttgart, Volker Schrank
Wie lange dauerte es bis zum ersten SUPRATHEL® “Prototyp”?
Prof. Heinrich Planck: Die V16 entsprach unseren Vorstellungen. Sie ist im Oktober 1998 ‘raus’ und wurde im Marienhospital an Patienten getestet.
Wie lief dieser klinische Test?
Prof. Heinrich Planck: Wie eingangs erwähnt, wollten die Ärzte gar nicht mehr herkömmlich behandeln. Die Zulassungsstudie wurde vorzeitig abgebrochen, weil die Ergebnisse so deutlich waren. Komplexer als die Anwendung von SUPRATHEL® war – und ist bis heute -die Änderung der Pflegeroutine.
Dr. Helmut Hierlemann: Zu dem Zeitpunkt hieß es in Verbrennungsbehandlung ‘Wundauflage drauf, Salbenverband drüber’. Dieser rigide, okklusive Verband verhinderte die Bakterienbildung, er sperrte quasi ab. Einwachsen durfte der Verband indes nicht. Das machte einen regelmäßigen, täglichen Verbandswechsel nötig, bei dem jedes Mal die Kruste, die sich gebildet hatte, buchstäblich vom Körper gerissen wurde. Das ist eine Tortur für den Patienten. Außerdem bedeutet das, dass die Haut nie eine natürliche Wiederherstellung verfolgen kann und die Heilung lange dauert.
SUPRATHEL® dagegen verbleibt, einmal aufgetragen, auf der Haut. Es ist durchsichtig, der Chirurg hat freie Sicht auf die Wunde und ihre Heilung. Zudem nimmt SUPRATHEL® die Schmerzen; das ist eine Wirkung der in SUPRATHEL® enthaltenen Milchsäure.
Dr. Matthias Rapp vom Zentrum für Schwerbrandverletzte im Marienhospital Stuttgart war schnell überzeugt von der Wirkung von SUPRATHEL®, hier auf einem Pressebild aus dem Jahr 2013. Spezialabteilung für Brandopfer im Marienhospital: Rettung naht – Aktuell – Stuttgarter Wochenblatt (stuttgarter-wochenblatt.de)
Wann kam dann die Zulassung, nachdem die Studie wegen Eindeutigkeit abgebrochen worden war?
Prof. Heinrich Planck: Ja, die SUPRATHEL®-Behandlung war einfach der Best-Case… Die Zulassung, die CE-Marke, haben wir Anfang 2004 erhalten.
Wie ging es weiter nach der Zulassung?
Prof. Heinrich Planck: Unsere Partner aus der Industrie hatten kein Interesse, die Sache weiter zu verfolgen. Wir haben die Rechte übernommen und PolyMedics Innovations (PMI) gegründet. Vorher – und nachher gefühlt auch noch eine ganze Weile – waren wir ein Institut und ein paar Wissenschaftler. Unseren ersten Mitarbeiter haben wir im Januar 2008 eingestellt, im Februar haben wir uns dann noch eine Sekretärin geleistet. Der Vertrieb ging die ersten Jahre über Drittanbieter, wir hatten keinen eigenen Außendienst.
Das klingt nach Start-up aus dem Bilderbuch …Hat der Erfolg Ihres Produkts Sie eigentlich überrascht? Schließlich hatten Sie schon nach zwei Jahren mehr als 1.600 Anwendungen pro Jahr.
Dr. Helmut Hierlemann: In dem Ausmaß schon. Dass unser Produkt wirksam ist, wussten wir ja. Aber anfangs waren wir ein Institut und auch als junges Unternehmen hatten wir kein riesiges Budget für Werbung und Marketing. Wir mussten überzeugen, mit Wissen und Anwendungsmethodik.
Prof. Heinrich Planck: Unser Erfolg beruhte auf Mund-zu-Mund Propaganda unter den Ärzten. Manchmal haben die Leute schon auf uns gewartet auf einem Kongress, weil sie von Kollegen von SUPRATHEL® gehört hatten. Die Ärzte haben unser Marketing gemacht. Das dauerte zwar, war und ist aber sehr nachhaltig. Wir haben immer nur so viel Geld ausgegeben, wie wir hatten. Bis heute sind wir unabhängig von externen Geldgebern.
Welches sind für Sie die wichtigsten Meilensteine in 20 Jahren SUPRATHEL®?
Prof. Heinrich Planck: Das sind für mich die Ergebnisse der ersten Studie aus dem Marienhospital, dann Umsetzung in der Produktion von SUPRATHEL®. Ein Highlight ist der Beginn der Produktion in Eigenregie im Jahr 2010, sprich im eigenen Reinraum. Dann der Aufbau einer eigenen Vertriebs- und Marketing-Abteilung, ebenfalls ab 2010. 2014 kam mein Sohn Christian ins Unternehmen; er hat uns viel Struktur ‘beigebracht’ und ist für die Erschließung des amerikanischen Marktes verantwortlich. Wir machen dort mittlerweile mit zwei Kliniken so viel Umsatz wie in ganz Deutschland.
Prof. Heinrich Planck und sein Sohn Christian Planck bei der Einweihung des neuen Firmengebäudes in Kirchheim/Teck im Sommer 2023.
Können Sie uns noch erläutern, inwiefern SUPRATHEL® den “Shift to Synthetics” eingeleitet hat?
Dr. Helmut Hierlemann: Ich erinnere mich, dass ich das 2014 bei einem Vortrag zur Sprache gebracht habe. In USA kamen zur Wund- und Verbrennungsversorgung hauptsächlich Collagenprodukte zum Einsatz, die ja tierischen Ursprung sind. Wir sind hingegen mit einem synthetischen alloplastischen Material angetreten. Diesem Material wurde die Fähigkeit abgesprochen, ein Hautersatz sein zu können. Wir mussten Nachweise bringen, dass wir kein Pflaster oder eine Wundabdeckung bieten – sondern einen synthetischen Hautersatz. Heute ist das längst kein Thema mehr, dazu gibt es Publikationen zuhauf.
20 Jahre sind für ein Medizinprodukt ein stattlichesAlter. Warum ist SUPRATHEL® auch in Zukunft noch relevant?
Dr. Helmut Hierlemann: SUPRATHEL® bleibt relevant, weil es viele hauttypische Parameter vereinigt, und das in einer Zusammensetzung, die noch nie da war. Alloplastische Hautverbände hatten erst mal das Ziel, die Wunde abzudecken. SUPRATHEL® kann noch viel mehr: Der Wasseraustausch der Haut funktioniert, es geht mit der Wundheilung mit und es verfügt über Wachtsums- und heilungsfördernde Abbauprodukte: Es entsteht Laktat, das triggert die Heilungsvermögen und die Wachstumsfaktoren. Momentan gibt es nichts Vergleichbares, vor allem nichts, was wirtschaftlich in ähnlichem Rahmen wäre.
Welches Potenzial die Zusammensetzung von SUPRATHEL® hat, zeigt das eng verwandte Produkt SUPRA SDRM und unsere Adhäsionsprophylaxe, an der wir arbeiten.
SUPRA SDRM wird zur Behandlung chronischer Wunden eingesetzt.